Die Wochendämmerung

Politik, Gesellschaft, Quatsch. Der Podcast mit Katrin Rönicke & Holger Klein

#153. Teile der CSU haben den Anschluss verloren, aber wir Anständigen sind die Mehrheit #ausgehetzt

| 32 Kommentare

In der vorletzten Sendung hat Holger ein wenig daneben gelegen mit seiner Vermutung, in der Türkei läge der Leitzins bei null. Dank netter und nicht so netter Hinweise hat er sich bemüht, die tatsächliche Lage zu verstehen – geholfen hat ihm dabei Hannah von den Mikroökonomen. Außerdem: Der Fall Mesut Özil ist ein Paradebeispielt für „Deutsche Debatten 2018“. Ein kurzer Blick darauf zeigt, dass Özil sicher einen Fehler gemacht hat, aber dass die Reaktionen darauf rassistisch geprägt sind. Naika Foroutan erzählt im Interview mit dem Tagesspiegel, was Kennzeichen dieser deutschen Auseinandersetzungen sind – und was wir alle gegen den Rechtsruck tun können, denn immer noch sind wir, die Anständigen, in der Mehrheit. Das sieht auch Sascha Lobo so – der uns alle aufruft, die Extremisten nicht weiter an die Macht zu schweigen.
Gute Nachrichten gibt es aus Äthiopien: Das Land hat endlich Frieden mit seinem Nachbarn Eritrea geschlossen. Möglich geworden ist das, weil die Äthiopier eine autokratische Regierung loswerden konnten. Ebenfalls schön: Costa Rica zeigt, wie soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Abrüstung zu einer gesunden Gesellschaft führen – ein Beispiel, das Joseph E. Stiglitz für die Blätter aufgearbeitet hat.

Links und Hintergründe

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32 thoughts on “#153. Teile der CSU haben den Anschluss verloren, aber wir Anständigen sind die Mehrheit #ausgehetzt

  1. Alexander Bohnsack sagt:

    Ich frage mich seit einer Weile, ob sie jetzt alle einen am Rad haben.

    Was ist passiert? Ein Profifussballer (kein Raketenforscher, kein Philosophieprofessor, kein Unternehmensberater, kein bildender Künstler, kein Staatsoberhaupt) hat sich einen Bock geleistet – nicht mehr und nicht weniger. Er hat (naiv oder leichtferig) mit Symbolen hantiert/sich dazu drängen lassen und alle drehen seit Wochen am Rad. Weder hat der junge Mann ALLEIN eine WM verloren, noch hat er ein Kind vergewaltigt, einen Anschlag geplant oder begangen oder wild um sich in einem Einkaufszentrum auf wehrlose Passanten geschossen.
    Er hat das gemacht, was viele von uns, wenn nicht sogar wir alle tagtäglich machen: Einen Fehler und er hat sich danach nicht besonders klug verhalten – so what…
    Er hat von vielen Seiten dafür auch mit der groben Kelle eingeschenkt bekommen – sportlich vielleicht noch gerade so zu Recht, gesellschaftlich, politisch und persönlich sicher in sehr fragwürdig übertriebener Weise und Härte.
    Sind die Symbole inzwischen so viel wichtiger als das reale Leben? Gewonnen hat nur einer: Erogan – und das mit den billigsten Mitteln.

    Verloren haben wir alle, weil wir zeigen, dass uns Symbole so viel wichtiger geworden sind als das reale Leben.

    Ist in der Zeit, in der mit viel Energie über die ganze Özil-Erdogan-WM-Kiste diskutiert worden ist, auch nur ein echtes Problem erkannt, besser verstanden oder gar gelöst worden?
    Ist die Altersarmut auch nur ein bisschen weniger geworden in der Zeit?
    Ist die Steuergerechtigkeit auch nur ein bisschen realer geworden in der Zeit?
    Ist die Vernunft in unserer Gesellschaft auch nur ein bisschen stärker wieder eingekehrt in dieser Zeit?

    Verändert sich unser ganz persönliches Leben drastisch, wenn ein anderer ziemlich hochbezahlter Mensch ein Lied vor den Start seiner Leistungserbringung trällert?
    Ist unser Kühlschrank voller, nur weil eine Gruppe ziemlich hochbezahlter Sportfacharbeiter (Holger würde wohl gemäß seiner Aussage, Profi-Fußball ist Unterhaltungsindustrie sagen Unterhaltungskünstler) gemeinsam ein Spiel gewinnt?

    Atmet durch und denkt einfach kurz darüber nach, ob ihr – wenn ihr einen Fehler (kein Verbrechen, sonderen einen Fehler) gemacht habt – auch dauehaft so mit erbarmungsloser Gehässigkeit mal im Deckmäntelchen der vermientlich doch wohl erlaubten Kritik und mal ganz ohne überschüttet werden wollt und wie es sich anfühlen würde…

    Und jetzt überlegt mal, wo uns diese Gehässigkeit und diese Wut hinführen könnten, wenn wir nicht alle uns jetzt einfach mal zurücklehnen, durchtamen und uns besinnen auf Tugenden wie Toleranz, Verzeihen und weiterhin MITEINANDER leben können.
    Wäre das nicht eine gute und mittelfristig erfolgreichere Strategie?

    Vor dem Spiel ist nach dem Spiel
    Der Ball ist rund
    Elf Freunde müsst ihr sein

  2. Ani sagt:

    Zum Osten kann ich ja mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, so als Ossi. 😉
    Ich habe meine Heimat immer wieder versucht, zu verteidigen, möchte aber auch die Augen nicht vor dem verschließen, was da vor sich geht. Es stimmt, dass Rassismus, zumindest hier, in der Kleinstadt, in der ich lebe, ganz normal ist.
    Dass man im Wartezimmer beim Arzt z.B. ein Gespräch zwischen älteren Herren mitbekommt, die über die „Drecks-Ausländer“ meckern, ist ziemlich wahrscheinlich. Dafür müssen gar keine dieser Ausländer irgendwas gemacht haben oder auch nur anwesend sein (es gibt hier sowieso recht wenige).
    Rechtes Gedankengut bei Polizei und Bundeswehr ist nicht selten.
    Viele Menschen haben einen riesen Strohmann im Kopf und so als links-grün tendierende Person, habe ich es oft nicht leicht. Selbst in meinem Bekanntenkreis gibt es Rassismus, eine über 25jährige Freundschaft ist an unterschiedlichen politischen Ansichten zerbrochen.
    Warum stoßen AfD und Co. hier also überhaupt so sehr auf fruchtbaren Boden? So ganz sicher bin ich mir ehrlich gesagt auch nicht, allerdings stelle ich bei persönlichen Gesprächen immer wieder fest, dass sich viele sehr abgehängt fühlen. Die Löhne sind niedrig, die Kleinstädte zerfallen (vor allem die Schulen und Katrin hat total recht, wenn sie sagt, dass hier wenig Politik behandelt wird), Straßen bröckeln auseinander, kleine Betriebe gehen baden… ich weiß, das ist eigentlich überall so. Aber im Osten vielleicht besonders schlimm? Keine Ahnung, da will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
    Ich habe mal eine Zeit lang im Westen gewohnt und habe das dort als viel „aufgeräumter“ empfunden, aber das ist ja auch nur ein subjektiver Eindruck. Was das Menschliche anging, habe ich mich wiederum nicht so wohl gefühlt. Ständige Ossi-Sprüche und -Witze, das Lustigmachen über meine Aussprache… schön war es nicht.
    Auch im Netz lese ich unter Anti-AfD-Seiten immer wieder blöde Kommentare, bis hin zu übelsten Beleidigungen gegenüber Ostdeutschen, die sicherlich mit in das „Abgehängtfühlen“ reinspielen und Rassismus zusätzlich schüren. So nach dem Motto: „Wir werden ja nicht mal richtig als Teil Deutschlands akzeptiert, warum also ‚echte Fremde‘? Erstmal wir!“
    Ist natürlich trotzdem absolut falsch, sich deshalb dem rechten Mob anzuschließen!

    Und um nochmal zur Schule zurückzukommen: hier ist es gar nicht mal so leicht, an Bildung zu kommen.
    Ich muss mal eine kleine persönliche Anekdote loswerden, weil es in mir so brodelt.
    Immer wenn es irgendwo heißt, dass Bildung bei uns ja nichts mit dem Einkommen zutun hat und allein persönliche Entscheidungen dafür verantwortlich sind, wie bestimmte Dinge laufen, kann ich nur lachen.
    Ich bin ’96 eingeschult worden, in eine stinknormale Realschule, die damals noch nicht mit der Hauptschule in einen Topf geworfen wurde und als richtig gut galt (das ist heute nicht mehr so).
    In diese Schule kamen alle Kinder aus unserem Viertel, niemand hatte einen Schulweg, der länger als zehn Minuten dauerte.
    Ein Gymnasium gab es auch, allerdings etwas weiter weg und man musste dort von der ersten Klasse an drin sein. Die Eltern im Viertel waren alle der Meinung, wir sollten erstmal den Realschulabschluss hinkriegen und dann selbst entscheiden, ob wir noch Abi machen wollen.
    Mein Abschlusszeugnis war ziemlich gut und ich wollte weitermachen, um dann eventuell zu studieren. Allerdings befand sich das Gymnasium, auf dem ich die drei Jahre noch hätte machen können, in einer anderen Stadt.
    Die Monatskarte für die tägliche Zugfahrt kostete damals 130 Euro – ein Betrag, den sich meine alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob bei Niedriglohn nicht leisten konnte.
    Ich habe einen Antrag auf Fahrtkostenübernahme gestellt, der abgelehnt wurde. Damit hieß es für mich Lehre statt Schule, Geld reinbringen statt Geld kosten.
    Ich bin da ganz sicher kein Einzelfall.

    1. Katrin sagt:

      Liebe Ani,
      danke für deine Geschichte und Perspektive.
      Ich kann so vieles davon nachempfinden! Ich glaube wirklich, dass sehr viele strukturelle Ungleichheit nach wie vor den Ostlern zu schaffen macht und ich glaube auch, dass diese eine Rolle spielt. Dass diese strukturelle Ungleichheit sich mittlerweile auch über Teile des Westens auszubreiten scheint, macht die Sache weder besser noch weniger schlimm. Ich denke, dass die sozialen Unterschiede, die dieses Land in den letzten Jahrzehnten sehenden Auges aktiv produziert hat – Schulsystem sei dank! – uns richtig böse auf die Füße fallen. Seit ich politisch aktiv war und politisch denke ist die Bildungspolitik für mich DAS Thema, das am drängendsten für mich ist (okay, sagen wir neben der Klimapolitik) und gleichzeitig das Thema, bei dem am wenigsten voran geht. Was mich auch regelmäßig zum heulen bringt. Unser Bildungssystem manifestiert in weiten Teilen, dass Herkunft wichtiger ist, als Können.
      Es gibt ein paar kleine Lichtblicke – immer, wenn ich in der Sendung über die schlechte Bildungspolitik abrante, kommen zurecht auch Lehrer_innen in den Kommentaren und rügen meine zu negative Sicht auf die Dinge. Ich sehe auch hier in Berlin, wie durch die Abschaffung der Hauptschule ein wichtiger Schritt zu mehr Chancen und Teilhabe-Möglichkeiten gemacht wurde und auch die neue Lehrer_innen-Generation, die an vielen Schulen hier die alten ablöst, macht mir sehr viel Hoffnung. Aber insgesamt – und dabei bleibe ich – wird das ganze kleingeredet und weitestgehend ignoriert, welch immensen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit ein Schulsystem leisten würde, das von Anfang an darauf setzt, wirklich ALLE mitzunehmen, jedes Kind INDIVIDUELL zu fördern und das vor allem auch endlich Schluss damit macht, einer kleine Elite auf ihren Gymnasien nach wie vor zuzusichern, dass sie schon weiterhin die besseren Möglichkeiten in dieser Gesellschaft haben.
      Arrrg. Ich rede mich schon wieder in Rage.

      Also einfach danke für deine Geschichte. Du bist ganz sicher kein Einzelfall. Und die Geschichte der Möglichkeiten setzt sich ja einfach so fort. Eine Freundin von mir hat jahrelang von Hartz IV leben müssen, weil man als Alleinerziehende ohne reiches Elternhaus und ohne Stipendium nicht mehr studieren kann – Hartz IV und das Studium schließen sich nämlich gegenseitig aus und das BAFöG sichert nicht die Existenz. Jetzt hat sie einen Kredit aufgenommen und studiert, arbeitet nebenher – was dazu führt, dass sie weniger Zeit für ihr Kind hat, als zB ich. Da bleibt auch weniger Zeit, all die Probleme, die wiederum schulisch auftreten, aufzufangen und schon setzt sich die Geschichte schlimmstenfalls fort. *zerknirscht ab*

      1. Eule sagt:

        „ein Schulsystem leisten würde, das von Anfang an darauf setzt, wirklich ALLE mitzunehmen, jedes Kind INDIVIDUELL zu fördern“

        Ein solches Schulsystem müsste aber auch doppelt so viele Lehrer in halb so große Klassen schicken, und das erscheint mir bei dem jetzt schon flächendeckenden Lehrermangel recht illusorisch.

        Ich bin selber Lehrer und habe schon mehrfach am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet eine stark leistungsheterogene Lerngruppe zu betreuen. Und auch, was für einen riesigen Unterschied es macht, wenn besonders lernschwache Kinder zusätzliche Betreuung erfahren, etwa im Fall von diagnostizierten ADHS/Asperger-Fällen durch Integrationshelfer/innen. Bei undiagnostizierten Fällen (oder solchen wo die Betreuung sich auf eine Handvoll Unterrichtsstunden pro Woche(!) beschränkt) bin ich faktisch dieser Helfer, auf Kosten fast aller anderen Kinder in der Klasse, und das ohne dafür ausgebildet zu sein. Das sind dann Stunden die am meisten Kraft kosten weil ich hinterher weiß, dass ich niemandem gerecht werden konnte.

        1. Katrin sagt:

          Hallo Eule, dir wollte ich unbedingt auch noch antworten!
          Ja, ein solches Schulsystem bräuchte am Anfang bestimmt mehr Personal. Aber zum Ende hin immer weniger. Das machen die Finnen ja auch so. Sie stecken ganz viel Energie in den Start – in den Kitas mit einem Betreuungsschlüssel von 1:4 – um dann zum Ende hin immer weniger Personal zu brauchen, weil sie sehr kompetente Schüler_innen haben.
          Das ist auch bei dem AD(H)S-Beispiel von dir ganz ähnlich (bei Asperger vielleicht auch, aber da kenne ich mich nicht so aus): Sehr viele Kinder brauchen da vor allem in der Grundschule und vielleicht noch in der Mittelstufe besondere Unterstützung, um sich zu organisieren, die Aufgaben zu erledigen usw.. aber irgendwann kriegen sie das auch gut selbst hin, je älter sie werden, desto mehr Selbständigkeit ist ja möglich.
          Ich weiß natürlich nicht, in welchen Klassen du lehrst, aber ich habe den Eindruck, dass gerade in Grundschulen hier viel mehr nötig wäre – genau wie du sagst: kleinere Klassen, mehr Personal.
          Wir haben in unserer Grundschule zB eine Klasse mit 30 Kindern, davon haben 5 Kinder eine LRS diagnostiziert. Ich bewundere die Klassenlehrerin sehr, denn sie hat die Lage ganz alleine supertoll im Griff. Das ist natürlich ein dritter Faktor, der hier zum Tragen kommt: Dass man auch erst einmal die Methoden lernen muss, eine stark heterogene Klasse zu unterrichten und möglichst allen gerecht zu werden. Ich will damit nicht sagen: „Stell dich nicht so an – die schafft es ja auch!“ – versteh mich bitte nicht falsch! Ich halte sie für ein absolutes Ausnahmetalent (nicht nur an unserer Schule), die aus ihrem eigenen Herzblut offenbar so viel Energie zu ziehen weiß, dass sie auf magische Weise dem Burnout zu entwischen weiß, dem andere in ihrer Situation garantiert erliegen würden. Aber ich denke, dass zu dem Dreiklang eben auch das gehört: Neue Methoden und Lehr-Formate. Plus kleinere Klassen, plus mehr Personal gerade für den Start.

          LG
          Katrin

    2. Tarifkenner sagt:

      Liebe Ani, liebe Katrin,

      ich habe Eure Kommentare mit großem Interesse gelesen und den Eindruck gewonnen, dass Eure Perspektiven doch etwas unterschiedlicher sind, als es nach Katrins Beitrag den Anschein hat. Wenn ich Ani richtig verstanden habe, findet sie das gegliederte Schulsystem vom Grundsatz her richtig. Insbesondere sieht sie es als Qualitätsverlust an, wenn die Realschule mit der Hauptschule „in einen Topf geworfen“ wird. Als ungerecht sieht Ani es an, wenn einem Kind/Jugendlichen mangels finanzieller Ausstattung des Elternhauses, die Möglichkeit genommen wird, eine zu einer höheren Qualifikation führenden Schule zu besuchen. Dagegen scheint Katrin der Auffassung zu sein, dass ein gegliedertes Schulsystem (zumindest oft) per se ungerecht ist und der Perpetuierung sozialer Unterschiede dient, weshalb sie die Zusammenlegung von Real- und Hauptschule positiv bewertet. Habe ich da etwas falsch verstanden?

      Persönlich sehe ich es so wie Ani. Mir erscheint ein gegliedertes Schulsystem grundsätzlich sinnvoll und auch gerecht – WENN niemand aus finanziellen oder sozialen Gründen daran gehindert wird, die Schule zu besuchen, für die er qualifiziert ist. Ich halte es für einen unglaublichen Skandal, dass im Jahr 1996 Anis Abitur an dem Preis der Fahrkarte gescheitert ist. Weißt Du, liebe Ani, zufällig noch, woran die Kostenübernahme scheiterte? Ich würde vermuten, dass es irgendeine Lösung gegeben hätte, auf die „die Behörde“ versäumt hat, hinzuweisen – was an der Größe des Skandals nichts ändert, aber vielleicht an dem Ansatzpunkt für eine Verbesserung.

      Katrins Ideal eines Schulsystems, „das von Anfang an darauf setzt, wirklich ALLE mitzunehmen und jedes Kind INDIVIDUELL zu fördern“, teile ich durchaus. Ich glaube aber, dass sich dieses Ideal in einem gegliederten Schulsystem, das eine Aufteilung der Schüler nach Fähigkeiten und Neigungen vornimmt, besser verwirklichen lässt als in einem System ohne eine solche Aufteilung. Ich weiß, dass viele hier widersprechen. Diese Menschen möchte ich fragen: Wenn 100 Kinder in 10 Skikurs-Gruppen einzuteilen sind, kann man entweder 10 nach Fähigkeiten differenzierte Gruppen bilden oder in allen 10 Gruppen das volle Leistungsspektrum abbilden. Welche Methode maximiert Eures Erachtens die Chancen, dass der einzelne Skischüler individuell gut gefördert wird? Wenn Ihr hier eine Aufteilung nach Fähigkeiten für sinnvoll haltet, warum sollte es bei anderen Unterrichtsinhalten anders sein? Oft wird auch argumentiert, dass es wertvoll sei, dass die Schüler sich untereinander helfen könnten. Gerade durch das aktive Erklären würden auch die leistungsstärkeren Schüler profitieren. Das sehe ich auch so. Doch auch das spricht nicht gegen ein dreigegliedertes Schulsystem. Dort verbleiben noch genug Unterschiede in Fähigkeiten und Neigungen, die durch das Erklären von Schülerin zu Schüler zum Nutzen aller überbrückt werden können.

      Katrin spricht von der „kleine[n] Elite auf ihren Gymnasien“, denen zugesichert werde, „dass sie schon weiterhin die besseren Möglichkeiten in dieser Gesellschaft haben“. Ich sehe auch die Gefahr, dass ein gegliedertes Schulsystem zur Selbstreproduktion von Eliten missbraucht wird. Aber schauen wir uns doch einmal die Entwicklung in Deutschland an. In den 1950er Jahren wechselten 10 bis 15 Prozent eines Grundschuljahrgang aufs Gymnasium. Heute sind es über 40 Prozent. Das kann man beim besten Willen nicht mehr als „kleine Elite“ bezeichnen. WENN also „die Elite“ in Deutschland versucht hätte, mittels des gegliederten Schulsystems ihre Stellung zu zementieren, wäre sie dabei kläglich gescheitert.

      Nebenbei: So ganz verstanden habe ich die Geschichte von Katrins Freundin nicht: Sie hat von Hartz IV leben müssen, weil sie nicht studieren konnte? Und BAföG wäre wirklich entscheidend weniger gewesen als Hartz IV?

      1. Katrin sagt:

        Ich habe Anis Kommentar anders gelesen, aber das kann am besten sie selbst sagen. Dass die Realschule heute keine gute Schule mehr ist, das schreibt sie – aber ob sie deswegen Verfechterin des dreigliedrigen Schulsystems ist? Das ist Interpretation deinerseits.

        Zum Thema Differenzierung der Schüler_innen nach Fähigkeiten: Hier lautet der Schlüsselbegriff „Binnendifferenzierung“ und genau die ist eines der wichtigsten Merkmale von guten Schulen. Der Schulpreis in diesem Jahr ging an eine ehemalige „Sonderschule“, die einfach alle „normalen“ Schüler_innen mitaufgenommen hat und diese – je nach deren Fähigkeiten – sogar bis zum Abitur bringt. Wir hatten darüber auch schon einmal in dieser Sendung gesprochen – ich verweise daher nur kurz auf Nr. 145, wo du in den Shownotes auch weitere Links dazu findest. Und natürlich mag Anis Fall extrem sein, aber es gibt sehr viele verschiedene Gründe, warum der von dir geteilte Ansatz „von Anfang an darauf setzen, wirklich ALLE mitzunehmen und jedes Kind INDIVIDUELL zu fördern“ nur wirklich dann gelingen kann, wenn alle an einer Schule sind. Da ist das Thema Schulweg noch der – ich sag mal – seltsamste. Viel häufiger hast du Fälle wie zB Kinder, die für alles länger brauchen, aber wenn sie die Zeit bekommen, nach hinten raus – mit etwa 15 oder 16 Jahren – richtig Gas geben. Der Ansatz, dass man nach der 4. Klasse (oder hier in Berlin nach der 6. Klasse) trennt, berücksichtigt diese Kinder nicht. Andere Fälle betreffen Unwegsamkeiten im Lebenslauf aller Art. Das können Probleme im Elternhaus sein, oder einfach nur Pubertät, Depressionen, Liebeskummer – you name it. Treten diese Dinge zur „Unzeit“ auf, also wenn sich der Weg aufgabelt, bedeutet es nicht selten, dass Kinder an eine Schule kommen, die sie unterfordert und sie hinter ihren Möglichkeiten zurück bleiben.
        Wir wissen von PISA, dass diese Dinge eine sozioökonomische Komponente haben, je nachdem, aus was für einem Elternhaus du kommst, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass es dich trifft. Das bedeutet auch: Deine Reslienzfaktoren in Bezug auf diese Dinge müssen ungleich größer sein, als die eines Kindes aus privilegierterem Elternhaus. Man erwartet von dir sozusagen mehr für die gleiche Chance. PISA kann dies sogar so weit belegen, dass Schüler aus unterprivigierten Elternhäusern durchschnittlich bessere Noten haben müssen, um eine Gymnasialempfehlung zu bekommen.
        Wenn jedoch alle Schulen immer den Anspruch haben, für alle Kinder da zu sein und keine irgendwohin abschieben zu können, dann ändert das die Grundhaltung entscheidend. Das bedeutet immer noch, dass die Kinder individuell nach ihren Leistungen und Fähigkeiten unterrichtet werden und in unterschiedlichen Tempi oder Lerngruppen agieren – aber wenn es Schwankungen gibt, wird das ausgeglichen. Wenn alle Schulen für alle da sind, hast du außerdem bei dir um die Ecke eine Schule, bei der sowohl den MSA, als auch dein Abi machen kannst. Dass alle Kinder auf eine Schule gehen, heißt ja nicht, dass alle den gleichen Lernweg gehen. Das ist IMHO der Denkfehler, den die meisten machen.

        LG
        Katrin

        1. Ani sagt:

          Ich glaube, da wurde ich etwas falsch verstanden, ich bin tatsächlich sehr bei Katrin, was das Schulsystem angeht.
          Und um nochmal kurz ein paar Sachen klarzustellen: Meinen Realschulabschluss hatte ich 2006, 1996 war die Einschulung. 😉
          Ein Problem mit dem Zusammenwerfen von Haupt- und Realschule sehe ich z.B. darin, dass es auf meiner ehemaligen Schule nun so ist, dass Schüler*innen, die einen bestimmten Schnitt nicht erreichen, nach der 9. einfach rausgekantet werden und gar keine Chance mehr bekommen, die 10. überhaupt noch zu machen, während die anderen das dürfen. Man lässt diese noch sehr jungen Menschen alleine und sagt, die sollen halt erstmal eine Ausbildung mache und damit dann gegebenenfalls den Real nachholen.
          Das zweite Problem, von dem ich selber immer wieder betroffen bin, ist, dass ich z.B. auf Ämtern und in Vorstellungsgesprächen immer wieder gefragt werde: „Ach, sie haben ja den Hauptschulabschluss?“ Ich: „Es ist der Realschulabschluss“ „Ähm, aber das ist doch Hauptschule oder?“ „Nein.“ „Was war denn jetzt nochmal der Real?“ Und an dieser Stelle musste dann ernsthaft schon mehrfach nachgeschaut werden. Das fühlt sich halt irgendwie blöd an, wenn man 10 Jahre in der Schule gepaukt hat und alle denken es waren nur 9, aber da spielt natürlich auch das Ego ein bisschen mit rein. ¯\_(ツ)_/¯
          Und lieber Tarifkenner, um deine Frage nach den Gründen der Ablehnung für Fahrtkostenübernahme zu beantworten (ich weiß es nämlich tatsächlich noch): Das Einkommen meiner Mutter wurde natürlich berücksichtigt, inklusive des Unterhalts, den mein Vater damals gezahlt hat (100 Euro pro Kind, wir waren zwei Kinder und das hatte er mit meiner Mutter so abgemacht). Allerdings haben die auch das Einkommen meines Vaters nochmal mit berechnet und das war gar nicht so schlecht.
          Dass der Abseits vom Unterhalt überhaupt keinen Cent für uns gezahlt hat, weil er es nicht wollte, war dabei leider egal. Die Begründung war damals, er verdient genug und könnte das doch zahlen. Natürlich hat er mir ins Gesicht gelacht, als ich ihm das erzählt habe und war überhaupt nicht bereit, mir die Monatskarte zu finanzieren.

  3. Bernd Wehmöller sagt:

    Zum Thema „wir sind die Mehrheit“

    … ich habe auf Twitter (FB und co. benutze ich nicht) eine Woche lang alle geblockt oder stumm geschaltet, die rote x’e im Name haben oder rechtsradiKALTE bzw. mit Hass angereicherte Kommentare abgegeben haben (also auch die meißten CSU Politiker :-). Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, all diese „Scheiße“ zu lesen.

    Nun, nach einer Woche intensiven Blocken’s, habe ich Ruhe in Twitter. Hin und wieder verirrt sich noch ein Idiotenkommentar (den ich dann je nach Idiotengrad blocke oder nicht), aber insgesammt sieht es nun wieder viel besser aus, und ich fühle mich auch besser wenn ich Twitter anmache. Es sind etwa 200 „Personen“ die ich geblockt habe.

    Ich habe nur wenig Follower und folge auch nicht jedem, aber das zeigt schon, dass es eigentlich eine Minderheit ist, die da auf Twitter Krawall macht. Man braucht nur mal auf einen Tweet zu #Özil oder von @HaticeAkyuen gehen und kann eine Stunde lang blockieren. Danach ist es ruhiger.

    Das zu „erkennen“ hat mir auch wieder Mut gemacht, denn ich hatte schon den Eindruck, wir stehen kurz vor einem Naziregime. Doch die Erkenntniss, es sind im Grunde nur wenige die halt viel Lärm machen, hat mich wieder optimistisch werden lassen.

    1. Holger Klein sagt:

      So ähnlich habe ich das auch gemacht (und mache es vereinzelt noch): Wenn ich unter einem Tweet von irgendwem Replies von Arschgesichtern sehe, blocke ich diese Leute sozusagen prophylaktisch (weil ja eh klar ist, was die auch in Zukunft beizutragen haben), und das sorgt für eine unglaubliche Ruhe in meiner Timeline – wo dann interessanterweise auch viel mehr Meinungen durchkommen, die zwar nicht meine sind, aber über die man diskutieren könnte 🙂

  4. hilti sagt:

    Meine Theorie warum das Wortungetüm „Menschen mit Migrationshintergrund“ verwendet wird:

    Deutschland ist ja bekanntlich keine Einwanderungsland, wie die CDU bis vor wenigen Jahren immer wieder betonte. Deswegen kann man natürlich auch nicht von Einwanderern reden… Menschen mit Migrationshintergrund ist da doch viel eleganter. Hört sich wissenschaftlich an (kommts aus der Soziologie?) und entlarvt nicht die Lebenslüge.

    Einwanderer und ihre Nachkommen bzw. Einwanderer erster, zweiter oder dritter Generation oder ähnliches könnte man genau so gut sagen. Und sollte man auch.

    1. Venyo sagt:

      Ich dachte immer das Problem wäre, dass die meisten Deutschen mit Migrationshintergrund keine Einwanderer sind. Ein Mensch, der in 3. Generation hier lebt ist halt kein Einwanderer, sondern stammt nur von solchen ab.

    2. Tarifkenner sagt:

      „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist ein sehr komplexer Begriff, der meines Wissens vom statistischen Bundesamt entwickelt wurde. Die von hilti vorgeschlagenen anderen Begriffe meinen nicht dasselbe. „Einwanderer dritter Generation“ haben zum Beispiel dann KEINEN Migrationshintergrund, wenn ihre Eltern in Deutschland als Deutsche geboren wurden.
      Bevor dieser Begriff entwickelt wurde, wurde nur zwischen Deutschen und Ausländern differenziert. Diese Unterscheidung wurde immer weniger aussagekräftig, weil in den 1990ern Millionen von (Spät-)Aussiedlern in die Bundesrepublik einreisten, die keine Ausländer, sondern „Deutsche im Sinne des Grundgesetzes“ waren und auch, weil immer mehr Ausländer sich eingebürgert wurden.

  5. Dave Remmel sagt:

    Der Vergleich mit Schröder hinkt, er ist in keinem politischen Amt mehr.
    Özil ist in gewisser Weise als Nationalspieler Repräsentant von Deutschland.

    Ich finde die Aktion Özils mit Erdogan aber ehrlich gesagt echt nicht sooooo dramtisch. Okay, es war dämlich, es war unglücklich, aber hey… Haben wir sonst keine anderen Probleme?
    Und klar, dass man dafür Schelte vom DFB bekommt ist auch gerechtfertigt. Aber wenn, dann hätte man das gefälligst VOR der WM machen sollen, anstatt jetzt so eine Scheindebatte zu führen. Denn machen wir uns nix vor: Wäre Deutschland Weltmeister geworden, hätte da niemand mehr nach gefragt.

    1. Titus von Unhold sagt:

      Der DFB ist ein Unternehmen und die Spieler seine Mitarbeiter. Die repräsentieren höchstens sich selbst und ihre Sponsoren. Wenn sich ein Abteilungsleiter von Siemens mit Erdogan ablichten lassen würde, wäre das nicht mehr oder weniger irrelevant.

      1. Dave Remmel sagt:

        Was hat das damit zu tun, wer sein Gehalt zahlt?
        Die Frage ist doch eher, wie er in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

        1. Titus von Unhold sagt:

          Dem kann ich nicht zustimmen. Ich fühle mich von der Politik repräsentiert, aber nicht von Leuten die Sport als Beruf ausüben.

    2. Katrin sagt:

      ich knabbere an dieser „Repräsentant für Deutschland“-These noch. Ich kann das irgendwie nicht glauben. Oder anders: Was macht ihn denn dazu? Ab wann ist man das denn? Was sind die Faktoren, die bestimmen, wer ein Repräsentant ist und wer nicht?

  6. Tarifkenner sagt:

    Tolle Analyse im Gespräch Holgers mit der Ökonomin Hannah. Eine kleine Anmerkung dazu: So bei 3’40“ sagt sie, dass durch „den Putsch im letzten Jahr“ die türkische Lira um 20% abgewertet habe. Der Putschversuch ist schon etwas über zwei Jahre her. In den letzten 12 Monaten verlor die Türk. Lira gegenüber dem Euro 36% an Wert, in den letzten 24 Monaten -also etwa seit dem Putschversuch – 66%.

  7. Jaycupp sagt:

    Ich fand das Zitat von Kathrin leider nicht so schön. Mir persönlich hat die #metoo Geschichte auch geholfen Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Ich bin mir sicher, dass ich in ganz vielen Situationen immer noch sexistisch bin, aber ich versuche es so weit wie möglich zu vermeiden.
    Ähnlich sollte man das in der #metwo Debatte halten. Es tut jedesmal weh, wenn man sich dieses Geschwafel von Leuten anhört und dann diese Relativierung mit Özil anfängt. Das ganze hat doch absolut nichts mehr mit Özil zu tun. Jemand der Kartoffel genannt wird musste nicht erleben, wie ein Polizist dich vor deiner Frau und deinem Kind dich erniedrigt. Ich persönlich habe mich nicht getraut meine Erlebnisse auf Twitter zu posten, weil ich angst vor den Kommentaren habe. Sogar in meiner „Linksgrünversifften“ Filterblase fühlen sich einige angegriffen und fangen an zu relativieren, wenn ich erzähle, dass ich aufgrund meiner „Herkunft“ diskriminiert wurde.
    Deswegen war ich zumindest am Anfang verwundert über Kathrins leichte Diskursverschiebung. Es geht nicht darum „wie toll wir deutschen eigentlich sind“, sondern darum, dass sich ein großer Teil der Menschen, die schon in dritter oder vierter Generation hier leben sich ausgeschlossen und diskriminiert fühlt. Da haben dann solche Dinge wie „wir leisten ganz viel Flüchtlingshilfe“ nichts zu suchen.
    Man muss sich eingestehen, dass es einfach ekelhaften Rassismus in Deutschland gibt. So wie Holgi das gemacht hat. Danach kann man anfangen über alles andere zu reden.

    1. Katrin sagt:

      Hallo,
      ich würde gern verstehen worum genau es geht. Welches Zitat meinst du? Ich kann mich überhaupt nicht erinnern irgendwas in die von dir angedeutete Richtung zum Thema #metwo gesagt zu haben – zumal ich von diesem Hashtag in der Sendung zum ersten Mal gehört und mich erst nach der Aufnahme auf twitter durch die Tweets gelesen habe.
      Also was genau meinst du mit dem Zitat von mir?

      1. Jaycupp sagt:

        Hi,
        also ich korrigiere mich. Du hast nichts zitiert sondern nur das Interview mit Naika Foroutan wiedergegeben, dich aber eher auf der versöhnliche am Ende versteift. Ich habe mir das Interview nochmal komplett durchgelesen und möchte meine Aussage etwas revidieren. Wenn man den Inhalt kennt klingt das was du sagst natürlich nicht mehr so nach „ich möchte nur die positiven Dinge hervorheben“.
        Vielleicht war mein Text auch etwas wirr. Es klang am Anfang allerdings etwas so als wenn du lieber darüber reden würdest was hier so toll läuft und den Rassismus den Özil und viele andere Erlebt haben ausblenden.
        Also nur zum Verständnis: Ich finde eure Arbeit toll und bin dankbar für das Produkt.

        1. Katrin sagt:

          okay – ich will nur noch einmal zur Sicherheit festhalten: Ich will den Rassismus in dieser Gesellschaft nicht kleinreden! Ich denke, das war ein Missverständnis. Ich bin hier ganz klar für ein „Sowohl als auch“: Missstände wie strukturellen Rassismus benennen – gerade auch, was #metwo an Geschichten hervorbringt – und gleichzeitig daran festhalten, dass der anständige Teil dieser Gesellschaft sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen darf. Ich bin selbst leider eher geneigt, in Depression über die Entwicklungen zu verfallen und mein Auswandern zu planen. Deswegen sind solche Interviews, wie das mit Naika Foroutan, für mich immens wichtig, weil sie mich aufrütteln und mich daran erinnern, dass ich eine Verantwortung trage und dass ich etwas tun kann und muss.

          1. Jaycupp sagt:

            Ok,
            danke nochmal für die Klarstellung 🙂
            Ans Auswandern denke ich auch oft. Allerdings fällt mir auch kein Ort ein, wo es besser als in Berlin ist.

  8. Venyo sagt:

    Zu Holgis Rant, dass es doch klar ist, dass Rassismus strukturell ist: Das ist auf den ersten Blick überhaupt nicht klar und in der Schule gelernt haben wir das auch nicht… Wir haben bis zum Exzess eingetrichtert bekommen dass Rassismus böse ist (Holocaust! Hitler! Schulausflug ins KZ!), aber von strukturell war da nie die Rede….

    Es wird auch sonst selten strukturell gedacht in der politischen Debatte (z.B. bei Armut oder Wirtschaft wäre das ja auch ganz hilfreich. Selbst bei Umweltschutz…).

    Insofern verstehe ich den Rant nicht. Es ist einfach Standard, dass die Leute nicht strukturell denken. Und auf individueller Ebene ist „Scheiß Deutscher“ halt dasselbe wie „Scheiß Türke“.

    Das macht es jetzt nicht besser, aber vielleicht hilft es die Situation zu verstehen und bringt etwas Geduld, wenn man das 100. Mal erklären muss wo der Unterschied genau besteht….

  9. Venyo sagt:

    Zu den ethischen es ETFs gibt es anscheinend mittlerweile eine weitere Sendung beim Finanzwesir:

    1. Venyo sagt:

      https://www.finanzwesir.com/blog/esg-sri-etf-finanzwesir-rockt-folge59

      Ich hab die Sendung noch nicht gehört wobei ich die alte Folge auch nicht überragend fand.

      Die Stärke des Finanzwesirs ist es die Sachen auf die wesentlichen Punkte zu reduzieren und überspitzt das wichtigste darzustellen. Aus meiner Sicht krankt die Thematik aber eben gerade daran, dass sie sich nicht auf etwas simples reduzieren lässt. Fragen wie: Was ist ethisch gut? Wie wollen wir leben? Welche Konsequenzen hat mein Handeln für andere und die Zukunft? Da gibt es nun mal keine einfachen Antworten.

      Aber arbeitet euch gerne in das Thema ein und präsentiert eure Resultate. Würde mich freuen wenn ich falsch liege 🙂

  10. sz sagt:

    Hallo,

    noch ein Kommentar zu Ostdeutschland. Ich finde es problematisch, dass ständig solche Aussagen fallen wie, der Osten ist rechts, der Osten ist ein Hort der Rechten etc. Zumindest solange das so einseitig passiert, wie es der Fall ist. Natürlich gibt es im Osten mehr Rechte als im Westen. Und, guess what, es gibt auch mehr Linke. Der Osten ist auch links und ein Hort der Linken. Wenn man letzteres unsichtbar macht und immer nur auf die Rechten im Osten hinweist, dann ist es ähnlich, wie wenn Medien nur über Flüchtlinge reden und nicht über Flüchtlingshelfer. Man spricht/ redet damit auch die Zustände herbei, die man anprangert. Denn unsichtbar gemacht werden entmutigt einfach auf Dauer, während das immer wieder Erwähnen auch ein bisschen immer ist wie Werbung.

    1. Katrin sagt:

      jau, Pauschalaussage in Bezug auf den Osten zu vermeiden – das ist absolut richtig.
      aber ich würde bestreiten, dass der Osten ein Hort der Linken ist.
      Ich weiß nicht – kommst du von dort? Die Leute, die da in der Linkspartei sind, die sind nicht automatisch wirklich links. Mein Opa ist in der Linkspartei, aber das hat mehr historische Gründe, als ideologische. Und so gibt es eben sehr viele, grade ältere Leute, die da den Schnitt heben.
      Ein Hort der Linken ist der Osten allerdings insofern, als dass zB die Antifa dort ein echtes Standing hat – denn sie ist auch wirklich notwendig! aber eben vor allem wegen der vielen Rechten.
      Der Osten ist anders und das leider in manchen Regionen auf eine Weise, die es wirklich linken Menschen, Grünen oder ausländisch aussehenden sehr schwer machen kann, dort zu leben. Das gefällt mir auch nicht, aber ich möchte diese Realität auch nicht kleinreden.
      Wie gesagt: aufpassen nicht zu pauschal alle über einen Kamm zu kehren – das sollten wir und da bin ich bei dir.
      LG
      Katrin

      1. Ani sagt:

        Ich muss Katrin hier (leider) wieder recht geben. Wie ich oben schon mal geschrieben habe, habe ich meine Heimat lange verteidigt und war auch immer ganz schnell bei der Aussage, das könne man alles nicht so pauschalisieren. Es ist aber wichtiger, die Augen aufzumachen und einzusehen, dass der Osten ein ziemliches Problem mit Rechten hat.
        In meinem Bundesland hat die AfD die höchsten Zahlen eingefahren, Tendenz steigend. Es erschreckt mich einfach zutiefst, dass beispielsweise meine eigenen Familienmitglieder, die eine Gaststätte haben und vor zwei Jahren noch als ach so gutherzig in der Zeitung abgebildet waren, weil sie an Weihnachten einer Flüchtlingsfamilie ein Essen spendiert haben, heute ohne Ende AfD-Beiträge teilen.
        Und wenn meine frühere beste Freundin einen rassistischen Spruch nach dem anderen loslässt und glühender AfD-Fan ist, obwohl sie als ALG II Empfängerin und alleinerziehende Mutter unter deren Politik zu leiden hätte.
        Auch das, was Katrin da mit älteren Leuten und der Linken beschreibt, kommt mir sehr bekannt vor. Meine Großeltern sind konservativ, relativ rassistisch und (zu meinem großen Leidwesen, weil ich als Bisexuelle betroffen bin) wahnsinnig homophob. Die beiden wählen trotzdem links, zum einen aus Gewohnheit und zum anderen sagen sie, dass „die Ausländer und Homos“ ihnen nicht wichtig genug sind und sie die Sozialpolitik der Linken lieber mögen. Deswegen würde ich sie aber noch lange nicht als links bezeichnen.

  11. sz sagt:

    Hallo,

    wenn ich sage, ich finde die einseitige Darstellung problematisch, heißt es ja nicht, dass ich die Augen verschließen will davor, dass es hier viele Rechte gibt oder das bestreiten. Ich würde mir wünschen, dass die Darstellung Ostdeutschlands in den Medien auch nur ansatzweise differenziert abläuft. Der Osten und seine Einwohnerschagft scheinen allgemein komplett egal zu sein, es sei denn, es geht darum, wie rechts angeblich alle sind. Wo ich lebe, gibt es aber eben auch viele Linke (die keine Opas sind) und die AFD-Anhängerschaft lag bei der Bundestagswahl bei 12 %, also niedriger als der ostdeutsche Durchschnitt. Wenn es um Ostdeutschland geht, dann mag man auf einmal nichtmal mehr bei Wahlergebnissen nach Bundesländern differenzieren, wie es auf westliche Länder bezogen ganz selbstverständlich gemacht wird – Ausnahme, es wird Ost gegen West
    abgegrenzt.

    Ich bleibe dabei, dass diese einseitige Darstellung schadet. Ich sehe nicht, inwiefern hier dadurch irgendwer erreicht wird, wenn sogar ganz klar links positionierte Leute wie ich dadurch einfach nur zunehmend genervt sind.

    Ein ziemliches Problem mit Rechten hat im Übrigen auch der Westen. Ich habe einige Jahre im Schwarzwald gearbeitet. Seitdem in Freiburg dieser Mordfall durch einen Flüchtling passiert ist, teilen die Hälfte meines ehemaligen Kollegiums auf einmal dauernd Meldungen über kriminelle Ausländer, was ich von den meisten nie erwartet hätte. Wegen eines einzigen Verbrechens scheint mir in der Region die Stimmung von weiten Teilen der weniger gebildeten Bevölkerung gekippt zu sein. Und, im Gegensatz zu hier, ist das eine super wohlhabende Gegend. Die meisten haben ihr eigenen Häuschen. Wahrscheinlich haben von denen weniger viele AFD gewählt, als von den Menschen hier, die so denken, aber die springen schonmal voll auf diesen fremdenfeindlichen Zug auf.

    Zum Thema Linke, da würde mich in der Tat sehr interessieren, ob irgendwas darüber erforscht oder bekannt ist, wie sich deren Wählerschaft zusammensetzt? Hast du da vielleicht irgendwas zu Katrin? Die Linken, die ich hier kenne,wirken auf mich oft viel bewusster links als viele im Westen, wo das manche irgendwie fast by default sind, die dann ab und zu aber total fremdenfeindliche Dinge raushauen. Jedenfalls finde ich es problematisch so vielen Wählern und Wählerinnen abzusprechen eigenständige, bewusste Wahlentscheidungen zu treffen.

    1. Katrin sagt:

      ich spreche niemandem etwas pauschal ab, ich kann da nur von statistischen Durchschnittswerten reden und ich weiß, dass es auch innerhalb der Linkspartei die Debatten gibt: Junge gegen alte SED-Überbleibsel. Daten hat das statistische Bundesamt – zB welche Alterszusammensetzung man da hat: auf die schnelle die Zahlen von 2005, aber die Altersstruktur wird glaube ich jedes Mal erhoben https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1491/umfrage/altersstruktur-der-waehler-der-linkspartei-bundestagswahl-2005/
      und die bpb hat sehr interessante Analysen dazu: http://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/die-linke/42138/wahlergebnisse-und-waehlerschaft
      daraus:

      „In den neuen Ländern, wo sich die Stimmenanteile der vormaligen PDS bei den „Gründungswahlen“ 1990 noch zwischen 10 (Landtagswahl in Thüringen, Volkskammerwahl) und etwas über 15 Prozent (Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern) bewegt hatten, machte sie ab 1994 einen großen Sprung nach vorne. Dabei kam es zu einer Zweiteilung zwischen dem Norden und Süden. In Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg, wo die SPD als stärkste Partei zu Koalitionen mit der Linken bereit war, führte deren Regierungsbeteiligung zu deutlichen Einbußen in der Wählergunst, sodass die Postkommunisten hier hinter der CDU nur drittstärkste Kraft blieben. In den CDU-dominierten Ländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gelang es ihnen dagegen schon 1999 bzw. 2002, als Oppositionspartei die SPD zu überflügeln und seither den zweiten Platz im Parteiensystem einzunehmen. Auch bei den Wahlen auf nationaler Ebene (Bundestags- und Europawahlen) liegt die Linke seit 2009 in Ostdeutschland vor den Sozialdemokraten.

      Gefährdet wurde die bis dahin stabile Position seit 2013 durch die Konkurrenz der AfD. Konnten der Wahlerfolg und die Übernahme des Ministerpräsidentenamtes in Thüringen die Abwanderung eigener Wähler zur AfD bei den Landtagswahlen in Osten 2014 noch überdecken, erlebte die Partei 2016 in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern ein Debakel, als die Rechtspopulisten sie aus dem Stand als zweit- bzw. drittstärkste Kraft verdrängten.“

      aus dem Stand.
      und ich weiß, pars pro toto ist nicht okay – aber ich sage es mal so: Meine Familie und ihr Umfeld (leben alle in Sachsen-Anhalt) würde ich als anständig bezeichnen, als 2015 die große Angst vor Weihnachten in der (Ost-)Familie bei vielen meiner Generation umging, haben meine Verwandten ganz klar gesagt: Wer auf der Flucht ist, braucht Hilfe. Punkt, fertig.
      Aber auch in dem Umfeld meiner Familie kommen die „Einschläge“ näher – wenn ich das rechte, populistische und hetzerische Gedankengut mal so nennen darf. Und das ist extrem erschreckend.

      Dennoch: Ich gebe dir Recht – die Anständigen fühlen sich nicht unbedingt dadurch bestärkt, dass man sie als Ostdeutsche mit den Rechten in einen Topf wirft. Ich selbst lese seit es ihn gibt zB den täglichen Newsletter „Abendpost Sachsen“ von Josa Mania-Schlegel, einfach um mich nicht hinzugeben und differenziert zu bleiben. Der Newsletter ist Teil des Projektes „Krautreporter“, die jetzt auch ein eigenes „Krautreporter Sachsen“ gegründet haben. Was ich sehr hilfreich finde. Auch die Analyse von Christian Gesellmann, dass man die AfD nicht einfach nur als dumm abtun kann, teile ich (https://krautreporter.de/2525-sorry-aber-die-afd-ist-nicht-so-doof-wie-du-denkst#paywall) – ich glaube einfach, wir müssen hier alle noch mehr üben. Die Pauschalurteile sind ja oft auch einfach Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit und die müssen wir alle gemeinsam überwinden.

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