In dieser Folge: Berichten wir vom bunten Protest am vergangenen Sonntag in Berlin; halten Kaddas Bier und lassen sie erklären, was Bildung ist; warten wir auf die nächste AfD-Kampagne nach Trumpschem Vorbild; visionieren eine mögliche Demokratisierung der Politik durch Citizens‘ Assemblys wie in Irland; danken Volker Kauder für seine Verhinderung eines sinnvollen Tabakwerbe-Verbots; hoffen für die Türkei auf eine Abwahl Erdogans; wünschen den Briten eine neue Brexit-Abstimmung mit anderen Vorzeichen; mainsplaint Holger wie man Fliesen bohrt.
Links und Hintergründe:
- Berichte nach den bunten Demos in Berlin: taz, Deutschlandfunk
- Schulschwänzer reloaded: „Schule kann das alleine nicht leisten“ (Interview in der Süddeutschen)
- TED-Talk von Sir Ken Robinson: How to escape education’s death valley (mit deutschen Untertiteln verfügbar)
- Deutscher Schulpreis: Der Deutsche Schulpreis 2018: Finale in Berlin: Der Hauptpreis geht nach Greifswald
- Trump trennt Familien gewaltsam
- FAZ über Trump: Null Toleranz für Einwandererkinder
- Wikipedia (EN): Citizens‘ Assembly (Ireland)
- www.citizensassembly.ie
- Guardian: If only Brexit had been run like Ireland’s referendum
- IPCC.ch
- tagesschau: Weltnichtrauchertag: Union blockiert Tabak-Werbeverbot
- Erdogan hat fertig: Warum Erdogan diesmal die Opposition fürchten muss (Handelsblatt)
- piqd thema: Wie sollte man mit der Türkei umgehen?
- ZEIT: Ein Hashtag der Hoffnung #tamam
- Spiegel: George Soros will neues Brexit-Votum erzwingen
- Wikipedia (EN): Best for Britain
- Spiegel Online: Gesägt, getan
Eine regelmäßige Spende über steady hält das Angebot am Leben.
Zum Thema Schulschwänzer: Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass meine Eltern mal vor Ferienbeginn mit uns in den Urlaub gefahren sind. Allerdings hatten wir zu Hause schon ab der Grundschule die Regelung, dass meine Schwester und ich pro Schulhalbjahr je einen „Blaumachtag“ zur Verfügung haben. Den Tag konnten wir selbst wählen und im Nachhinein betrachtet war das glaube ich eine gute Methode gegen Schulstress/-Angst. Wenn ich an einem Morgen mal wirklich keinen Bock hatte, musste ich meiner Mutter (selbst Lehrerin) nichts vorspielen und konnte zugeben, dass ich lieber zu Hause bleiben möchte. Andererseits war der eine Tag natürlich extrem kostbar und wurde nicht einfach unbedacht eingelöst. Im Zweifel hat man sich den Blaumachtag lieber aufgehoben, was am Ende dazu geführt hat, dass wir gar nicht jedes Schulhalbjahr davon Gebrauch gemacht haben.
ja, diese Regelung haben wir auch, aber ohne Beschränkung, sondern rein nach Bedarf. Es wird auch hier sehr bewusst eingesetzt, also das Kind übernimmt einfach Verantwortung dafür. Und es geht sehr verantwortungsbewusst damit um. Und ich glaube hier ist auch der Knackpunkt: Macht man sowas mit einer bestimmten Reflexion oder nur aus Laune und Bock? Nur: Das kann man von außen halt nie wissen. Weiterhin glaube ich, dass man diese Debatte so nicht führen müsste, wenn Schule eher wie in Finnland organisiert wäre und ich bin Sir Ken Robinson sehr dankbar für sein „ja, Finnland ist klein mit seinen 5 Millionen Einwohnern, aber damit entspricht es einem amerikanischem Bundesland…“ – denn auch hier ist die politische Entscheidungskompetenz ja Ländersache, das heißt, man muss eigentlich jedes Bundesland mit Finnland vergleichen und auf einmal hinkt der Vergleich gar nicht mehr so sehr.
Eure Vorstellung davon, wie „Homeschooling“ aussieht, bzw. aussehen kann ist mMn nicht ganz richtig. Ihr sagt, dass dann Eltern ihre Kinder indoktrinieren würden, statt sie vernünftig zu unterrichten. Aber wenn man Homeschooling halbwegs sinnvoll legalisieren würde, würde das dazu führen, dass die Kinder die ganzen Prüfungen – die ja dann sinnvollerweise nicht so viel anders aussähen, wie die der Schüler auf regulären Schulen – versemmeln würden. Wer die ganze Zeit nichts als weltanschaulichen Bullshit gelehrt bekommt, der wird damit am Ende auch niemals ein Abitur bestehen können.
Und wenn eine Schulaufsichtsbehörde eklatante Mängel in Bildung feststellt, dann würde sie in einer sinnvoll umgesetzten Homeschooling-Alternative entsprechend einschreiten und die Lizenz der jeweiligen Lehrer entziehen.
Was ein weiterer Punkt wäre, denn das „Home“ in „Homeschooling“ bedeutet ja noch lange nicht, dass deswegen ausgerechnet die Eltern den Unterricht gestalten. Es bedeutet eigentlich noch nicht mal, dass das unbedingt zuhause stattfinden müsste. In Amerika ist Homeschooling zumindest mancherorts ganz anders geregelt, da gibt es halt ganz normale Kurse, für die die Schüler dann auch mal ein paar Wochen in eine entsprechende Bildungsanstalt fahren müssen und Prüfungen werden natürlich auch nicht einfach nur gegenüber den eigenen Eltern abgelegt.
Ihr geht von einer Art worst case in der Umsetzung aus. Man kann sowas aber auch intelligent umsetzen und so eine gute und ernstzunehmende Alternative zur staatlichen Schule schaffen, die auch gesamtgesellschaftlich ihre Vorteile hätte. Idealerweise könnte man so etwas auch noch staatlich bezuschussen, damit es auch für sozial Schwache eine Option wäre. Warum nicht einen Betrag X pro Schüler an die jeweilige Schule zahlen oder eben zur Verfügung stellen, um „Bildung einzukaufen“? Dann hätten auch staatliche Schulen auf einmal einen ganz anderen Anreiz, an ihrer Qualität zu schrauben.
Liebe Katrin, lieber Holgi,
witzig, dass ihr diese Woche nochmal auf das Thema Schulvermeidung eingeht. Das ganze ist insofern ein Herzensthema von mir, als dass ich letztes Jahr meine Bachelorarbeit (Psychologie) diesem Thema gewidmet und qualitative Interviews mit sogenannten Schulvermeiderprojekten geführt.
Es können natürlich individuell ganz verschiedene Ursachen zu Schulabsentismus führen, aber sicherlich nicht ein paar „illegale Urlaubstage“. Auch ich habe in den Interviews den Eindruck bekommen, es geht bei der Problematik oft um fehlende Bindung (zu Mitschüler*nnen und Lehrenden), zu theoretischen/realitätsfernen Unterricht oder eben dahinterstehende psychische Probleme. Sicherlich ist es auch nicht günstig, dem Kind vorzuleben bei jeder Kleinigkeit Zuhause bleiben zu dürfen (machen oftmals ja auch die Eltern selbst), aber das ist wirklich sehr selten die Ursache für hartnäckigen Schulabsentismus.
Spannendes Thema! Finde ich gut, dass ihr sowas auch im Podcast streift! Auch wenn ich am liebsten noch mehr darüber von euch gehört hätte. 🙂
Viele Grüße
Lena
Achja, und dass es an den Gymnasien in Berlin einen NC gibt ist selbst mir als angehende Schulpsychologin neu. Unglaublich! Da bleiben mir wirklich die Worte weg…
Nicht nur an den Gymnasien, auch an den integrierten Sekundarschulen. die ja eigentlich allen offen stehen sollen :/
Ich fand es Schade das sich die „Demo“ Kontrahenten nicht mal Aug in Aug gegenüber stehen konnten. Ganz ohne Ironie. Nicht um sich gegenseitig niederzuknüppeln, sondern um mal zu sehen wer eigentlich der „Gegner“ ist. Das würde einer Legendenbildung vielleicht vorbeugen. Wobei damit auch nicht jeder zurecht käme.
Was ich nicht nachvollziehe kann ist, das sich die mediale Berichterstattung auf die „Wegbassen“ konzentriert hat. Da war doch viel mehr. Hat vielleicht nicht so gerummst, war aber Eindrucksvoll. Siehe die „Glänzende Demo“. Ich glaube hier gings wieder mal darum etwas herbeizuschreiben, und wenns der alte Loveparde Geist ist, der wieder da sein soll. In der „Welt“ gabs da einen Artikel zu…“Anti-AfD-Demo-Warum-wir-wieder-mehr-Techno-in-Deutschland-brauchen“…
Ich finde eure Argumentation mit dem Schulschwänzen um früher in den Urlaub zu fahren nicht zu Ende gedacht.
Wenn ich mein Kind 2 Tage aus der Schule nehme, muss der Stoff auch nachgeholt werden, es entsteht also noch mehr Stress für das Kind. (Auch wenn es effektiv vielleicht nur 1 Tag ist, da Fächer wie Kunst und Sport wegfallen).
Natürlich ist es jetzt kein Drama, wenn mal ein Kind früher in die Ferien fährt, aber ohne Kontrollen werden es vermutlich noch mehr. Dann sind irgendwann vor den Ferien der Hälfte der Kinder 3 Tage früher im Urlaub. Darunter leiden dann alle, da sich die effektive Lernzeit noch mehr verkürzt und konzentriert.
Ebenso sind die Kontrollen auch ohne wirklichen Mehrbedarf an Personal durchzuführen.
Also Kurzgesagt: Kontrollen sind in Maßen sicherlich ganz gut und wer eher in den Urlaub will, zahlt das gesparte Geld dann eben als Strafe.
Welches gesparte Geld, sollte den obendrein dafür Bestraft werden, das die Steuern die für Bildung aufgewendet wurden, also eben nicht für Bildung sondern für auswendig lernen, und das lässt sich auch im Urlaub zwischendurch mal nachholen.
Was soll denn da nachgeholt werden? Außer Unsinn wird in der letzten Woche vor den Ferien sowieso nicht gemacht. Und bei Selbstlernern hat sich das sowieso erledigt.
Ich kann diesen Kontrollen eben in der Tat auch nichts negatives abgewinnen. Katrins gesamte Argumentation kann ich nachvollziehen, keine Frage. Ich selber bin zwar gerne zur Schule gegangen, war aber auch nur zur Grundschulzeit auf einer staatlichen Schule.
Trotzdem geht diese Argumentation meiner Meinung nach an der eigentlichen Meldung vorbei, weil es ja eben nicht um Kinder ging, die zu viel Stress hatten, sondern nur darum, ein paar Euro mit dem günstigeren Flug zu sparen. Und ganz ehrlich: Da hab ich kein Verständnis für.
Mir zeigt das Verhalten dieser Eltern, dass es lohnenswert ist sich nicht an die Regeln zu halten. Regeln die für alle gleichermaßen gelten sollten. Selbst wenn wir uns darauf einigen, dass diese Regelungen so wie sie sind Banane sind, so sind sie eben doch da. Und das jetzt im Nachhinein zu legitimieren, indem man sagt, dass Schule ja eh nur Stress ist und man dem Kind so sogar noch etwas Gutes tut geht meines Erachtens nach vollkommen am Problem vorbei.
Wie gesagt, nimm das Kind von mir aus einen Tag in der Woche aus der Schule. Ist mir persönlich total egal. Aber jemand der am Flughafen aufgehalten wird, beim Check-In für einen Flug der ein halbes Jahr zuvor gebucht wurde, kann mir nicht erzählen, dass das Kind heute morgen so gestresst war, und man deshalb mal spontan nach Mallorca fliegen musste. Bei uns in der Schule konnten die Eltern in solchen Fällen anrufen, und natürlich sind die Kinder dann von der Schule befreit worden. Die Schulleitung weiß ja genau so, dass zwei Tage vor den Ferien nichts mehr los ist. Bei uns war du Bedingung halt, dass das nicht jedesmal passiert (ich nehme an der Gedanke war, dass wenn man jede Ferien in Urlaub fliegen kann, dann kann man es sich auch leisten die paar Euro mehr für den Flug auszugeben).
Das wollte ich nur mal loswerden. Ich hab den ganzen Abschnitt noch zweimal hören müssen, weil ich beim ersten Mal echt etwas enttäuscht war. Dass das Schulsystem Probleme ohne Ende hat sind wir uns einig (und das von mir, der Abitur und Hochschulabschluss besitzt). Aber das war nicht die Meldung um die es geht. Letztendlich breche ich als Eltern hier ein Gesetz (Schulpflicht) aus finanziellen Motiven. In anderen Bereichen würden wir das auch verfolgt und geahndet wissen wollen. Ob diese Regelung angebracht ist ist eine andere Frage. Aber wie gesagt, da gibt es, zumindest damals an meiner Schule, auch andere Möglichkeiten. Man muss halt miteinander sprechen.
Ich biete noch den Begriff „Bildungs-Waterboarding“. Im Studium dachte ich, ich saufe ab.
Ja Austeritäre-Bildung in Deutschland bräuchte eher Sprachbegabte Mentoren, und jede Klasse ab der Grundschule sollte mindestens 1 eigenen Potcast pro Qurtal so selbst wie möglich zusammenarbeiten.
Und Rechtschreibfehler lasse ich in öffentlichen oder halböffentlich Komentarbereichen meist aus Denkmalschutzgründen drin, weil dort mittlerweile seit meiner Generation 1969 vieles verbessert und Eingeglagt wurde.
Moin Katrin,
du sagtest sinngemäß, dass Lehrer voreingenommen seien was Kinder mit verschiedener sozialer Herkunft angeht. Ich bin „nur“ im Bereich Hochschulbildung aktiv* und kann daher nichts zu Schulen sagen (dazu ist es bei mir zu lang her).
Ich muss jedoch sagen, dass die Prägung des Elternhauses einen weit größeren Einfluss auf den Studienerfolg zu haben scheint als die eigentliche Hochschulqualifikation. Die Studenten die zur Erstsemestereinführung durch Eigeninitiative und Selbstständigkeit auffallen sind jene die das Studium in der Regel gut über die Runden bekommen. Die Geschichten aus dem Elternhaus sind an der Stelle oftmals jene mit akademischem Hintergrund oder Selbstständigkeit.
Wenn ich das auf die Schule zurück denke, wundert es mich nicht so sehr, wenn sich dies auch dort zeigt. Die Kinder denen Selbständigkeit, Initiative und Bildung als Wert vermittelt wird, werden die Schule recht problemlos bewältigen und diese Werte wahrscheinlich auch an ihre Kinder weitergeben.
Jetzt kann man natürlich von der Schule / Hochschule verlangen, dass diese Werte / Fähigkeiten den Kindern vermittelt werden. Über die Möglichkeiten zerbrechen sich die (engagierten) Beteiligten jedoch bereits seit Jahren die Köpfe und kommen zu keiner Lösung. Ich wäre für Vorschläge sooo dankbar!
* Student mit Aktivität in den Hochschulgremien
—————–
Ernsthaft, zu Tagen der offenen Tür und zur Erstsemestereinführung habe ich teils erwachsene Menschen vor mir, bei denen ich mich frage, ob die sich früh allein die Schuhe zugebunden haben. Da schaut man dann schon verdattert, wenn ein seltenes Exemplar von sich aus neuen Kaffee ansetzt wenn dieser alle ist und dazu weder eine Aufforderung noch Anleitung braucht. Genauso wie typische Achtjährige auf ner Chaosveranstaltung eigenständiger sind als gut und gern die Hälfte der Erstis die ich betreue.
Und das klingt so böse wie es ist!
Diese Polizisten, die Schulschwänzereltern am Flughafen abfangen, erinnern mich irgendwie an Feldjäger. Gerade vor dem Hintergrund, dass unser Schulsystem bei Gründung das Militär zum Vorbild hatte. 😀
Hallo,
sehr vereinzelt und zu regionaleren Themen gibt es sowas wie das Citizens‘ Assembly bei uns auch – es läuft hier wahlweise unter der Bezeichnung „Planungszelle“ oder „Bürgergutachten“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Planungszelle). Was ich so gehört habe, scheint die Qualität der Ergebnisse hier auch eher überdurchschnittlich gut zu sein. Leider eben recht unbekannt.
Grüße,
Tobias
Hallo,
ich hab damals (als Handwerker) gelernt, Fließen ohne Schlag zu bohren.
Könnte mich nicht erinnern, dass mir mal eine Fließe zersprungen wäre.
Ergänzender Pro-Tipp: Die Stelle vorher mit Malerkrepp abkleben, das verhindert, dass die Fliese an der Oberfläche reisst. Und dann natürlich wie vorher gesagt, ohne Schlag auf angeraute Fliese bohren. Und vorbohren natürlich! Viel Glück!
Hallo Katrin,
hier ein erfreulicher Nachtrag für die nächste Sendung:
Auf der Berliner Senatsseite kann man jetzt eine Liste mit Ärztinnen und Ärzten abrufen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen:
https://www.berlin.de/sen/gesundheit/themen/schwangerschaft-und-kindergesundheit/schwangerschaft-und-familienplanung/schwangerschaftskonfliktberatung/arztpraxen-fuer-schwangerschaftsabbrueche/
aktuell sind 33 Kontakte enthalten, können ja fast nur noch mehr werden im Laufe der Zeit 🙂
Damit es nächste Woche nicht wieder nur Nachträge gibt, mach ich mal ein neues Fass auf:
Was haltet ihr von diesem Projekt der Bundesregierung? „Demokratie leben“
https://m.youtube.com/watch?v=mRjcwuYsMnw
Mich erinnert es sehr an meine Kindheit als Thälmann Pionier an der EOS Hans Lorbeer (Heute Luther Gymnasium).
Der Ami war der Böse und der Russe unser Freund.
Alles was nicht Links war, war Rechts. Jeder der nicht für die DDR war, war ein Staatsfeind.
Die permanente Friede-Freude-Eierkuchen Agitation hat nie jemand im Land wirklich geglaubt oder ernst genommen.
Wobei – ein paar gab es schon die sogar voll dahinter standen.
Einige davon haben sich nach der Wende dafür geschämt und teilweise auch dafür entschuldigt, dass sie sich für dumm verkaufen liessen.
Der Grossteil meinte es nicht böse. Es war eben ihre wahre Überzeugung.
Aber warum erzähl ich davon- das passiert doch sicherlich kein zweites Mal.?…
Warum nicht lieber Demokratie wagen anstatt „leben“ und endlich Volksentscheide zu den dringenden Fragen der Gesellschaft zulassen?!
Schöne Woche und bis Fteitag.
Moin Matthias,
kann es sein, dass du noch keine Erlebnisse innerhalb größerer Vereine / demokratischer Interessenvertretungen (zum Beispiel an einer Uni) hattest? Mit besonnener Realpolitik die mit spitzem Bleichstift kalkuliert und Entscheidungen mit dem Rechtsrahmen abklären will hat überhaupt gegen Chance gegen 1-2 lautstarke, populistische Schreihälse. Wenn sich diese Schreihälse geschickt anstellen bauen sie rhetorisch einen Gegner auf und definieren (ihre eigenen) Werte als definierend für die Gruppe. Ab da an gibt es keine sachlichen Entscheidungen mehr sondern ein sich selbst verstärkendes „für den Gegner und gegen uns aber gegen den Gegner und für uns“.
Zu diesem Punkt kann man sich jede Mitgliederversammlung sparen und nur noch austreten. Auf die ganze Bundesregierung skaliert kann man dann fröhlich einpacken.
Meiner Erfahrung nach hilft da auch kein Aufstand der Anständigen oder das hoffen auf „gesunden Menschenverstand“*. Die skalieren einfach nicht. Die meisten halbwegs komplexen Sachverhalte benötigen Stunden an Erklärung für wenige Zuhörer. Populismus hingegen braucht eine 2 minütige, emotionale Rede um (heutzutage) Millionen zu erreichen.
*Wer „gesunder Menschenverstand“ sagt meint in der Regel „Leute die so denken wie ich“, was in eine pluralistischen Gesellschaft ja einfach mal überhaupt keine Allgemeingültigkeit haben kann.
Hans Lorbeer? Noch jemand…
Langsam wird Wittenberg vollkommen überrepräsentiert hier. 😀
Tachchen,
beim Schulschwänzerthema muss man meines Erachtens nach Intentionen unterscheiden. Ich glaube, nur ein geringer Teil der Leute findet es falsch, wenn Eltern ihre Kinder mal ein oder zwei Tage zu Hause lassen, weil sie es für das beste für ihr Kind halten und gute Gründe haben.
Es gibt aber die Fälle, bei denen es keineswegs um das Kind geht, sondern einzig darum, günstiger in den Urlaub zu kommen. Das ist wohl allen klar, aber irgendwie muss man dies doch berücksichtigen. Es verletzt beispielsweise das Gerechtigkeitsempfinden derer, die sich ans Recht halten.
Der Beitrag zur Frage, was Bildung eigentlich ist, hat mir sehr gefallen und mich an Peter Bieri erinnert. Dennoch sehe ich beim gesamten Thema eine Vermischung, die nicht ganz einfach ist.
Viele Grüße,
Markus
Entschuldigt, Holgis Einwand kam dann ja auch noch. Da war ich wohl etwas ungeduldig.
IRLANDS DEMOKRATIE-VORTEIL:
Neben der ganzen Schulabstinenz geht das andere Thema hier ziemlich unter. Holgi, Kadda, ein absolut guter Buchtipp, der das Thema umfänglich angeht, ist „Gegen Wahlen – Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“ von David van Reybrouck. Der Titel mag beim ersten Hören, antidemokratisch klingen; ganz das Gegenteil ist der Fall. Es gehört in den letzten Jahren zu den erhellensten Büchern, die ich gelesen habe.
http://www.deutschlandfunkkultur.de/auslosen-statt-abstimmen-schaden-wahlen-der-demokratie.1270.de.html?dram:article_id=361643
Da die DSGVO schon nach einer Woche keine Erwähnung mehr findet zeigt, dass sich im Datenschutz nichts ändern wird. Schade darum. Aber so fühlt es sich wohl für Frauen an, wenn #metoo verpufft.
Wie kommst du darauf, dass das DSGVO großartig etwas ändern sollte? Da gab es medial Panik weil es fast alle verpennt haben und anstatt den Spaß mal selber zu lesen die meisten irgendwelchen Panik verbreitenden Vögeln nachgeplappert haben. Im Vergleich von DSGVO und BDSG (neu) zu BDSG (alt) wurden so viele Schrauben nicht angezogen und selbst dann oft nicht all zu hart. Die Strafmaße sind da eine krasse Ausnahme.
Mittlerweile hat jeder den von außen zugänglichen Dokumentationsfoo irgendwie zusammen kopiert. Die alten Prozesse werden weiter genutzt und die zuständigen Aufsichtsorgane sind so massiv unterbesetzt, dass man von dieser Seite nichts zu befürchten hat.
Einzig bekommt man von Nachzüglern im Firmenumfeld jetzt noch irgendwelchen lustigen (lies: „vollkommen absurd“) Verträge rund um den Datenschutz unterbreitet und Abmahnungen für Webseiten die man gar nicht betreibt :D.
Hallo ihr zwei,
ich war etwas erstaunt über eure Zwischentöne über Amnesty International. Bei mir das so rüber, dass ihr AI im Vergleich zu Human Rights Watch nicht wirklich für seriös haltet. Ich bin selber Mitglied bei AI, war aber noch bei keinem Treffen oder haben direkten Kontakt zu anderen Personen von AI. Nach eurem Kommentar wollte ich noch mal wissen, wo ich da hineingeraten bin und habe mir beiden Organisationen vergleichend angeschaut.
Amnesty International:
– Die Themen sind von AI und HRW sind vergleichbar.
– Verein in London mit Sektionen in 53 Ländern.
– 7 Millionen Mitglieder in 150 Ländern. Jedes Mitglied hat eine Stimme.
– Überwiegend Spendenfinanziert.
– Basisdemokratisch Organisiert. Die Sektionen entsenden Vertreter an die internationale Ebene, wo Entscheidungen über Strategien usw. getroffen werden.
– 80 Personen erstellen Länderberichte durch Interviews. Befragt werden: Opfer und Angehörigen von Menschenrechtsverletzungen, Geflohenen, Anwälten, NGOs, Journalisten. Die Länder werden besucht und die Regierungen von dem Besuch vorab darüber informiert. Die Informationen werden gegengeprüft durch Gerichtsakten, medizinische Atteste usw.
– Die Länderberichte sind die Grundlage, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen und Mitgliederaktionen wie z. B. das Briefe schreiben zu starten.
– Es werden immer nur Fälle in anderen Ländern betreut.
Human Rights Watch:
– Die Themen sind von AI und HRW sind vergleichbar.
– Verein in New York mit Büros in 17 Ländern
– 400 Hauptamtliche.
– Überwiegend Spendenfinanziert.
– 80 Personen erstellen Länderberichte durch Interviews. Befragt werden: Opfer und Angehörigen von Menschenrechtsverletzungen, Geflohenen, Anwälten, NGOs, Journalisten. Also identisch mit AI. Aber im Gegensatz zu AI sind die Personen permanent vor Ort oder in der Nähe.
– Die Länderberichte sind die Grundlage, um Öffentlichkeitsarbeit zu machen.
Kritik an den Organisationen:
Beiden Organisationen wirft man vor, zu sehr auf Öffentlichkeitsarbeit zu achten, um mehr Spenden zu generieren. Dabei sei der Blickwinkel beider zu westlich geprägt. Beide würden Israel und Palestina einen zu großen Stellenwert einräumen.
AI wirft man vor, dass sie zu viele Themen aufgreift.
HRW wirft man vor, dass sie versucht mit manchen Themen die Interessen von Einzelspendern zu bedienen und generell zu abhängig von Großspendern zu sein. Dass diese Kritik einen wahren Kern haben könnte, kann man sich vorstellen, wenn man diese Zahlen vergleicht: Jahresbudget: co. 50 Mio $. Spende George Soros 2010: 100 Mio. $.
Was ich nicht gelesen habe, was mir jedoch aufgefallen ist:
Der Vorstand von HRW sieht sehr weiß und sehr männlich aus. Ganz anders dagegen der Vorstand von AI, er ist viel diverser zusammengesetzt.
Meine Wertung:
Bei der Erstellung der Berichte gibt es keine gravierenden Unterschiede. Das sehen Kommentatoren von Zeitungen scheinbar auch so. AI endet hier jedoch nicht, sondern kann über ihre Mitglieder eine politische Kraft entfalten. Ich finde, die hohe Anzahl der Mitglieder verleiht AI eine große Legitimation. Es ist schon etwas anderes, ob ein Experte Interviews führt und dann einen Bericht schreibt, oder ob er eine Rückkopplung über die Mitglieder hat, die vielleicht beim nächsten mal andere Schwerpunkte setzen. Die Mitglieder sind auch nicht einfach Roboter, die auf Befehl der Leitung Briefe schreiben. Wenn zum Schreiben von Briefen oder Onlinepetitionen aufgefordert wird, sieht man (zumindest bei den Onlinepetitionen) das die Teilnehmerzahlen stark schwanken. Hier prüft jedes Mitglied also erneut, ob das Anliegen aus seinen Augen gerechtfertigt oder notwendig ist bzw. welche Priorität ihm eingeräumt wird (gehe ich erst noch Einkaufen und vergesse es dann, oder unterschreibe ich sofort).
In der Rassismuskritik ist es auch immer wieder ein Thema, ob Menschen, die von Rassismus betroffen sind, selber überhaupt an Rassismus kritisierenden Organisationen teilhaben können (Themensetzung, finanziellen Mitteln usw.). Vor diesem Hintergrund finde ich bedenklich, wie männlich weiß Human Right Watch im Gegensatz zu Amnesty International organisiert ist.
Was sind denn eure Kritikpunkte an AI, bzw. wo seht ihr den Vorteil von HRW?
Schönes Wochenende
Philipp
So wie ich die Sendung gehört habe, war die Kritik an AI nicht, dass sie nicht seriös sind, sondern dass sie nicht „neutral“ sind, weil sie ja nicht nur Beobachten, sondern auch aktivistisch vorgehen.
Wenn Amnesty z.B. die letzten 5 Jahre sehr viel Geld in Menschenrechtsarbeit in LandX investiert hat, dann haben sie prinzipiell ein Interesse daran, dass die Lage sich dort verbessert und sind vielleicht in der Bewertung eventuell etwas positiver. Umgekehrt: Um Geld einzusammeln für Tätigkeiten muss ja die Situation entsprechend schlimm sein, sonst spendet niemand was.
Ein ganz allgemeines Prinzip, dass man unabhängig von AI einfach in der Geschichte der Menschheit beobachten kann: Akteure sind nie wirklich neutral. Außenstehende Beobachter schon eher.
Wohlgemerkt: Das unterstellt niemandem eine unfaire Bewertung oder gar Korruption oder Egoismus. Es ist nur einfach so, dass eine Organisation gewisse Interessen hat und dass diese sich auf die Berichterstattung auswirken können. Und deshalb sollte man dieser Berichterstattung nicht blind glauben.
Schön dass ihr das Thema Schulschwänzer nochmal aufgegriffen habt. Ich kann nun durch eure Erläuterungen deutlich besser eure Haltung nachvollziehen und vermute so weit von einander weg sind wir auch gar nicht. Auch gut fand ich, dass Holgi zwei wichtige Argumente gebracht hat. Sinngemäß: Regeln müssen für alle gelten und dass man bei Leuten, die einen Flug buchen 1-2 Tage vor Beginn der Ferien, vermutlich eher ein monetäres Interesse unterstellen kann als eine Fundamentalkritik am Schulsystem oder die Sorge um das Kindeswohl.
Eine kleine Kritik hätte ich aber noch: Ihr habt auf mein Argument, dass das Aufweichen der Schulpflicht den bildungsfernen Schichten mehr schaden würde entgegnet dass die Schule diese Schichten ja eh schon diskriminiert. Das steckt ein logischer Denkfehler drin: Ja, das Schulsystem ist diskriminierend. Aber das bedeutet nicht, dass die Alternative automatisch weniger diskriminierend wäre. Je nach Alternative könnte es sogar noch schlimmer werden.
Das hängt natürlich sehr stark von der Alternative ab, aber in meinem Argument bin ich von dem Szenario ausgegangen: Aktuelles System + fehlende Schulpflicht. Ich komme selber aus einer relativ bildungsfernen Schicht und dort wird z.B. oft Geld verdienen als wichtiger erachtet als Bildung. Deshalb sehe ich z.B. die Gefahr, dass Schüler dann *noch* weniger Bildung ab bekommen als jetzt eh schon – wenn sich mal eine Haltung breit macht in der man Kinder einfach aus der Schule nehmen darf, wenn es einen (kurzfristigen) finanziellen Vorteil bringt.
Oberfläche einer Fliese = Glasur.
Die oberste Schicht der Fliese nennt man »Glasur«. Die körnt oder fräst man an, um ein Wandern des Bohrers zu vermeiden. Moderne Bohrmaschinen verfügen meist über einen sanften Schlagmodus. Der ist für Fliesen und andere empfindliche Materialen geeignet …
Hallo Ihr Zwei,
ich weiß, dass es nur am Rand mit eurer Diskussion zu tun hat, aber das Thema Schule und Bildung sowie Katrins Bewertung unseres Schulsystems hat mich zum Nachdenken gebracht.
Man hört ja immer wieder öffentlich Kritik an Eltern, die ihre Kinder zunehmend auf Privatschulen schicken. Moralisch kann ich das durchaus nachvollziehen – natürlich ist es wünschenswert, dass Kinder mit den unterschiedlichsten Backgrounds zusammen lernen und alle die gleichen Chancen haben. Wie realistisch dieses Szenario ist, steht sicher auf einem anderen Blatt.
Mal den monetären Aspekt beiseite lassend: wie würde man sich selbst verhalten, wenn man in die konkrete Situation kommt und selbst vor der Entscheidung steht? Eltern wollen doch grundsätzlich nur das Beste für ihre Kinder. Ist es da wirklich verwerflich, angesichts des Zustands unseres Bildungssystems einer greifbaren Alternative den Vorzug zu geben? Schicke ich meine Kinder auf staatliche Schulen, weil ich es moralisch für richtig und wünschenswert halte, und nehme dabei in Kauf, dass sie womöglich nicht die bestmögliche Förderung erhalten?
Ich sehe da eine fiese emotionale Zwickmühle und mich würde interessieren, wie ihr und auch die Hörenden das so sehen.
Holgi, deine Ausführungen zur Citizen Assembly in Irland klangen so als ob im Bundestag nur Deppen sitzen, die völlig uninformiert und losgelöst vom Rest der Welt Entscheidungen treffen. Dem ist natürlich nichts so.
Jede Fraktion hat diverse Mitarbeiter/innen, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind Fakten zu sammeln und ihre Abgeordneten entsprechend zu informieren, Lösungsvorschläge zu entwickeln usw. Und diese Leute sind vielfach aufgrund von vorherigen Jobs Fachmenschen auf einem Gebiet.
Dazu kommen die Anhörungen im Bundestag, wo Experten/innen eingeladen werden, um ihre Sicht auf ein Thema zu erklären. Da sitzen dann illustre Gäste wie Linus Neumann, Constanze Kurz und erklären das Wahlcomputer Scheisse sind oder so.
In Irland scheint man dagegen eher wahllos Leute auszusuchen, die sich dann erst in ein Thema einarbeiten müssen. Die Komplexität vieler Dinge ist aus meiner Sicht nicht in so einem Rahmen kaum zu bewältigen.
Und während ich das alles schreibe, denke ich mir „ey, das muss doch der Klein eigentlich wissen“ 🙂